Wolle Küppers hat sich totgelacht. Ein trauriger Grund dafür, dass seine Freunde sich nach vielen Jahren zum ersten Mal wiedersehen. Doch dieser letzte Abend von Wolle Küppers soll etwas ganz Besonderes werden und so trinken sie auf die guten und wilden alten Zeiten, auch wenn alle außer Wolle mittlerweile einem halbwegs geregelten Leben nachgehen.
Auf ihrem torkelnden Weg durch die Essener Nacht entdecken die Verbliebenen den Wert von Freundschaft neu, lernen allerlei über Leichenhallen und Aufzüge und lösen ein Rätsel: „Wenn drei Penner für drei Flaschen Schnaps drei Stunden brauchen, wie lange brauchen dann fünf Penner für fünf Flaschen?“

Eine ruppige Tragikkomödie über wahre Freundschaft, die meditative Wirkung von gemeinsamem Biertrinken und den Wert von letzten Versprechen. Und eine Hommage an das Ruhrgebiet.

„Was ist jetzt überhaupt?“, fragte Esra schließlich. „Wollen wir ihn da so liegenlassen in dieser Regalschublade oder wie ist das hier geplant?“
„Hier ist gar nichts geplant“, sagte Vegas. „Du kannst dich ja dazulegen und kuscheln …“
„Mein Gott, jetzt lass diese Scheiße. Er war unser Freund. Und wir waren verdammt noch mal nicht da, als er uns gebraucht hat! Also sollten wir jetzt …“
„Wir sollten jetzt gar nichts! Herrgott, und wenn schon. Das ist das Leben. Wenn ich wen brauche, ist auch nie einer da. Das ist die Scheißregel Nummer eins. Am Ende bist du alleine. Immer. Punkt!“
„Schade“, meinte Esra. „Ich dachte, für uns vier gilt das nicht. Da hab ich mich wohl getäuscht.“ Sie steckte sich in die Stille hinein eine neue Zigarette an. Ich sah sie an, da war wieder diese Falte auf der Stirn, senkrecht, von der Nasenwurzel etwa zwei Zentimeter hoch. „Ihr wisst alle, was ich meine“, sagte sie nach einem tiefen Zug. „Er hat keine Verwandten und hatte keine Kohle, also werden sie ihn einäschern und irgendwo vergraben.“
„Was sollen sie sonst machen?“, gab Vegas zurück. „Soll’n sie ihn ausstopfen und in irgendeiner Kneipe an die Theke setzen?“
„Das ist eine gute Idee“, schoss es mir durch den Kopf. Ausstopfen und an die Theke setzen, mit einem Bier in der Hand und einer Kippe zwischen den Zähnen. Aber im gleichen Moment wusste ich, was Esra darauf erwidern würde. Wolle Küppers wollte in den Ruhrwiesen begraben werden, das hatte er oft gesagt. Und jetzt lag er hier in dieser Metallbox und wie seine Beerdigung genau aussehen würde, wusste keiner von uns.
„Asche zu Asche“, sagte Rotzi, das Holzbein mit päpstlicher Geste segnend, als habe sie unsere Gedanken erraten, „so läuft das. Verbrannt und anonym bestattet. Mit meinem Bruder haben sie’s damals genauso gemacht. Wenn niemand da ist, der die Kosten trägt, und auch keine Verfügung oder so besteht, dann läuft das so. Fertig aus!“ Sie schwenkte den Küstennebel. „Will noch einer?“, fragte sie, aber nur Frau Wemser streckte träge die Hand aus. „So ist brav, Muttchen“, sagte Rotzi, „Trinken macht die Augen hell …“
„Wenn wir uns schon nicht um seine Seele gekümmert haben, als er lebte“, sagte Esra mit ein wenig übertriebenem Pathos, „dann sollten wir es zumindest jetzt tun. Und ihn da begraben, wo er das wollte!“
„Ich weiß nicht“, meinte ich daraufhin, „ihm ist es zum jetzigen Zeitpunkt vermutlich völlig egal, wo er liegt, weil seine Seele schon lange auf Achse ist und im Walzertakt über eine Märchenwiese springt und den Elfenmädchen beim Baden zuguckt oder so was.“
„Lachhaft! Wie bitteschön soll seine Seele aus dieser Metallschublade rauskommen?“ Esra klopfte mit der Faust gegen Wolles Metallbehältnis, es schepperte blechern und Frau Wemser sagte: „Herein“, aber niemandem nötigte das ein Lächeln ab.
„Könnt ihr das?“, fragte Esra. „Einfach so gehen und ihn da drin liegenlassen?“ Sie sah sich erwartungsvoll um und ich bemerkte, dass bei Vegas langsam der Mund aufklappte, weil er Esras Plan erst jetzt ansatzweise begriff.
„Waaas?“, rief er dann langsam und gedehnt. „Das ist eine Schnapsidee. Ihn jetzt da rauszuholen oder was du willst. Du denkst doch nicht ernsthaft … wie stellst du dir das vor? Das ist strafbar, das ist Leichenschändung oder Störung der Totenruhe oder …“
„Totenruhe“, lachte Esra bitter. „Das nennst du Totenruhe? Diese Ölsardinenscheiße hier nennst du Totenruhe? Wie soll man da Ruhe finden? Und was glaubst du, machen sie hinterher mit ihm? Auf dem Parkfriedhof gibt’s eine Ecke für Leute wie ihn, da steht nicht mal der Name oder geschweige denn … was weiß ich. Da steht bloß ein Schild, hier ruht der Ramsch der Menschheit, oder so! Er wird verbrannt und irgendwann bei Nacht und Nebel da verscharrt, Herrgott, da wäre es humaner, man ließe ihn öffentlich verschimmeln …“